Die Überflüssigen

 

Ein Maskentheaterstück der Gruppe Derweil über die Wiederbelebung Dreier, die durch ganz individuelle Auflehnung aus ihrer Isolation ausbrechen, über ungewöhnliche Wohnverhältnisse und die Absurditäten des Alltags.

Es tropft. Der Putz bröckelt von den Wänden und die einst so sorgsam ausgewählte Blümchentapete befindet sich in einem jämmerlichen Zustand. Der traurig daliegende Flur bietet auch dem Wind nur noch einen Anlass zum Heulen. Als da hinter einer der längst verlassen geglaubten Türen laute Grammophonmusik erschallt und eine verstaubte aber prunkvolle Dame den Flur betritt um ihre alltäglichen Ballettübungen zu beginnen, fängt auch der erste Eindruck an zu bröckeln. Das Morgenritual lockt noch weitere Gestalten aus ihren mehr oder weniger stabilen vier Wänden und bald wird der Flur wieder zum gemeinsamen Wohnzimmer umfunktioniert. Die Töpfe werden zum Waschen unter das poröse Dach gestellt, der Haus- und Flurmops führt seinen Besitzer eine Runde spazieren und Herbert sucht wieder einmal seine Socken. In diesem heruntergekommenen Gebäude, hat sich eine harmonische und absurde Gemeinschaft gebildet, die durch Kooperation und kreatives Umfunktionieren, sehr gut mit dem wackeligen Zustand ihres Heimes, leben kann. Es sind fünf oder sechs Menschen die diesen Ort, trotz des prekären Zustands, ihr Zuhause nennen. Die sich dem Verfall stellen und ihren Platz unter keinen Umständen räumen wollen. Im Laufe des Stückes zeigen sich die unterschiedlichen Motivationen der Figuren. Bei dem einen ist es sturer Trotz, beim anderen aktiver, politischer Widerstand gegen die Gentrifizierung und wieder andere, merken einfach gar nicht, wie sich der Zustand des Hauses immer weiter verschlechtert. Auch nicht, als der Druck der Außenwelt nach und nach, in die außergewöhnliche Idylle eindringt. Der Lärm der Baumaschienen und das sich ständig ändernde häusliche Umfeld, werden von den Protagonisten, erstaunlich gut in den Alltag integriert. Doch der wachsende Druck durch Bau- und Immobilienfirmen und durch die eigenen Angehörigen, wie auch der stetige, konsequente Widerstand der Bewohner*Innen, wird mit der Zeit zur Bewährungsprobe für alle Beteiligten.

Jurybegründung: So ein Treppenhaus ist eigentlich ein toter Ort. Meist schaut es auf verschlossene Wohnungstüren, und die Bewohner begegnen sich – wenn überhaupt – allenfalls zufällig und flüchtig. Der Hausflur der drei Überflüssigen hat ein geradezu überraschendes Eigenleben, und das nicht nur, wenn Regenwasser hineintropft. Die Bewohner sind vereinzelt und eher gedrückter Stimmung, die sich ohne Worte und – dank der Masken – ohne Mimik äußert; übrigens auch fast ohne Musik, vielmehr mit starkem Soundeinsatz. Somit bringt die Gruppe Derweil einen ungewöhnlichen Ausschnitt von Ausdrucksebenen in einen ungewöhnlichen Begegnungsraum, was den Interaktionen eigenen Charme verleiht. Bei allem bitteren Ernst der plötzlichen Anwesenheit von Leuten mit Klemmbrettern, die ohne Rücksicht auf die überflüssigen Bewohner den Hausflur begutachten, entstehen Lacher und damit eine fein austarierte Balance von Politik und Gags zwischen drei Wohnungen.

Theater Derweil

Spiel, Maskenbau, Konzept: Anita Gröbl, Philine Maidt, Sebastian Utecht | Regie: Aziza Bouizedkane, Richard Kimberley | Bühnenbild: Lisa Schoppmann | Bühnenbau: Jorik Maidt (Zirkuswagen Manufaktur Leipzig) | Sound, Geräusche: Nicolas Morgenroth, Olaf Simon | Licht Design: David Horsters | Requisite, Licht: Nicolas Ellerkamp | Video: Leon Naffin

Foto: Martin Dost