DARK STAR – fight the bomb, fight the crisis
DAS ÜZ und pipidasdas von Christian Hanisch und Ricardo Endt
Dark Star – fight the crisis is t eine interaktive Performance irgendwo zwischen Big-Brother im Weltall, Game-Show und Sci-Fi-Trash-Parodie. Dark Star – fight the crisis ist eine Durational-Performance bei der Krisensituationen simuliert werden und das Publikum aufgefordert ist, interaktiv diesen Krisen entgegenzuwirken. Die Performer befinden sich während der gesamten Performance in einer schwarzen Kiste und haben nur per Funksignal Kontakt zu den Zuschauern.
Regie / Konzeption Ricardo Endt, Christian Hanisch Bühne Peter Schneider Performer Ricardo Endt, Carmen Orschinski Assistenz Tim Kahn Ausstattung Lisa-Maria Totzke Musik Nico Haupt, Hannes Naumann Sound Tobias Gitter Produktionsleitung Susann Schreiber Fotos Sebastian Schimmel. Eine Produktion von pipidasdas und DAS ÜZ. Gefördert durch die Stadt Leipzig, Kulturamt, mit Unterstützung von WERK 2 und Cammerspiele Leipzig.
Die Jury über den Preisträger des Leipziger Bewegungskunstpreises 2015
Mitmachtheater genießt einen schlechten Ruf. Und das fast immer mit vollem Recht.
„Seid Ihr alle da?“ Was im Kasperletheater als Mittel zulässig ist, geht sonst meistens schief. Das direkte Einbeziehen des Publikums spielt zwischen Anbiederung und Überforderung Toccata auf der weiten Klaviatur schlechter Geschmacksnoten. Nicht zuletzt führt die Angst vor Mitmachtheater-Effekten zum Phänomen der leeren ersten Reihe, weil sich einfach niemand gern dem aufgedrückt interaktiven Spiel aussetzen will.
Bei „Dark Star – fight the bomb, fight the crisis“ sitzen alle Zuschauer in der ersten Reihe – egal, wo sie sich gerade im Raum befinden. Denn inspiriert vom Kultfilm „Dark Star“ ruft der Science-Fiction-Rätselabend zur Zuschauerkooperation. Allein gemeinschaftliches Agieren ist die Grundbedingung für dieses Theaterexperiment, damit die Handlung vorangeht. Die Fallhöhe ist hier offensichtlich hoch. Dafür dass dieses Raumschifftheater nicht abschmiert – zumindest nicht bei den von der Jury besuchten Abenden – sind zwei Komponenten verantwortlich: das konzeptionelle Kurshalten der Produktion und die durchhaltefähige und in der Improvisation versierte und verdammt begabte Crew.
Inhaltlich knüpft diese Theaterrakete an John Carpenters parodistischen Science-Fiction-Film aus dem Jahr 1974 an. Hier wie dort ist das in die Jahre gekommene Raumschiff Dark Star mit der Mission unterwegs, instabile Planeten zu zerstäuben. Die mitgeführte Bombe schaltet sich selbst scharf, entwickelt einen freien Willen und wird bockig. Kurzum: Sie wird zum tödlichen Problem. Nur mit Hilfe von außen kann es dem Duo im Raumschiff gelingen, die Krise zu überstehen. Hier setzt Dark Star mit einer dem Theater eigenen Spielsituation an. Denn diese äußeren Helfer sind die Zuschauer. Von den inneren Vorgängen im Weltraumgleiter erfahren sie nur durch Videoübertragung. Ansonsten bewegen sie sich im leeren Raum um die verschlossene Raumschiff-Box herum. In jedem neuen Drohszenario bleibt es bei einem kurzen Mitleiden mit den zwei Crewmitgliedern. Rasch wenden sich diese via Intercom ans Publikum und erbitten sich Lösungen, Antworten, Ansagen gegen das Problem der tickenden Bombe.
„Dark Star“ wird zur gemeinsamen Mission – Ausgang ungewiss. Jeder Einzelne entscheidet nach eigenem Gusto, ob er Hemmschuh oder Motor der Geschichte sein möchte. Nur ein Ende ist gewiss: Wollen alle lediglich beim Bier romantisch auf die Space-Odyssee glotzen, fährt das Ding gegen die Wand. Oder besser: …geht die Bombe hoch.
Dabei nähert sich die freie Leipziger Theateradaption auch auf der Ebene der Anmutung angenehm dem Low-Budget-Charakter von John Carpetenters Filmvorlage an – auch er schuf mit wenig Geld ein großes Stück Kunst. Sicher, im Vergleich mit Computerspielen nimmt sich hier der Aspekt der Interaktivität doch eher beschränkt aus – dafür wird das kollektive Moment unterstrichen. Auch wenn Interaktivität als Jahrzehnte altes Modewort noch immer als Zukunft von Medien und Kunst deklariert wird… Ist es Zufall, dass an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur gerade ein interaktives Filmformat ausprobiert wird, bei dem das Publikum vor dem Drehen entscheiden kann, was passieren soll? Kaum. Im Theatersegment experimentiert die Gruppe machina eX seit einigen Jahren mit der Aneignung von Computerspielmethoden. Sie waren übrigens fast zeitgleich zu „Dark Star“ mit einer finanziell gut ausgestatten Produktion in der Schauspiel-Residenz zu sehen, was hübsch das Ankommen der Mode im Stadttheater dokumentiert. „Lieber Low-Budget“ werden sich die beiden freien Leipziger Gruppen nicht freiwillig gesagt haben, als sie „Dark Star“ gemeinsam stemmten und es trotzdem wagten. (Juryfrage am Rande: Welchen Vorteil hat es für Theatergruppen, sich „Das Üz“ und „Pipidasdas“ zu nennen?) Nun gut, Das Üz und Pipidasdas zeigten Mut und Konsequenz, so ein aufwändiges Interaktionsformat mit den Mitteln des Off-Theaters zu zeigen. Dabei imitieren sie keinen Trend, sondern schaffen etwas Eigenständiges.
Carmen Orschinski und Ricardo Endt begeistern als intensiv, bis in die pure Erschöpfung hinein agierendes Darstellerduo. Müssen wir hier von schauspielerischer Leistung oder von Leidensfähigkeit sprechen? Vergiss Star Trek und – Wars! Trotz der audiovisuellen Übermittlung meint der Zuschauer immer, dicht dran zu sein, wenn die Dark Star Wissenschaftler sich schwitzend durch ihre Kommandokapsel schieben, um das nächste Unglück zu verhindern. Den beiden gelingt es, auch noch den wortkargsten Zuschauer derart zu berühren – oder anzuplautzen –, dass er wenigstens ein wenig mithilft. Und dadurch fiktiv Leben rettet und real das Stück entstehen lässt…
Mit ihrem Konzept veranstalten Christian Hanisch und Ricardo Endt eben kein lasches Mitmachtheater für den bloß kurzen Effekt. Sie erheben es im Gegenteil zum Grundprinzip – konsequent und kompromisslos!
Die leider hin und wieder ignorierte Formel „Kein Zuschauer = gleich = kein Theater“ kommt hier vollendet zur Geltung und zeigt sich als Inspiration für ein mitreißendes Format jenseits von Regietheater und Guckkastenbühne.
Großes Jurylob für das leidenschaftliche Astronautenspiel, das gelungene Experiment und die Bewegungsfreiheit zwischen den Genres!
Weitere Nominierte für den Leipziger Bewegungskunstpreis 2015
WALD
von Heike Hennig
4fürTanz
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Der fantasievolle szenische Streifzug open air durch den Auwald zeichnet den Jahreszeitenwechsel nach. Bewegung und Begegnung gibt es dabei nicht nur mit Flora und Fauna, sondern auch mit mythologischen Motiven und der Musik verschiedener Kulturen. In freier Assoziation spielen die einzelnen Stationen mit der Metaphernfülle des Waldes. Wenn Jogger und Spaziergänger den Weg kreuzen, verdutzt innehalten, entfaltet die Produktion vollends ihre eigentümliche Kraft: Der vermeintlich altbekannte Wald erhält in diesem federleichten Stück Naturpoesie ein völlig neues Antlitz.
FIGHT PALAST #Membersonly
PENG! Palast
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Der inszenierte Arenakampf, in dem sich die Performer zuvor angestaute Wut aus dem Bauch prügeln, ist frei von Selbstentblößungsklischee und Darstellertristesse. Exakt im Timing, handwerklich versiert und auch in den Kickbox-Sparring-Szenen überzeugend, entsteht ein intensiver Abend und das Publikum ist unmittelbar dabei. Man merkt dieser Inszenierung nicht an, dass sie einem langen Probenprozess entstammt – weil sie genau einem solchen entstammt.
Camus
SCHAU-Ensemble
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Die räumlichen Optionen der Schaubühne werden für diesen Abend der Perspektivwechsel treffend in Szene gesetzt: distanzierte Totale, intimes Kammerspiel, fast klaustrophobische Enge. So zieht ein Stationentheater vorüber, das Leben und Werk Albert Camus‘ zur dramatischen Einheit zu verdichten weiß – und mit den Mitteln der Sprache, des Spiels, des Tanzes und des Films jenseits einer rein intellektuellen Annäherung eine Empfindung für das Absurde und die Sinnlosigkeit der Existenz heraufbeschwört.
Abgänge
von Friederike Köpf
erweiterte zugeständnisse leipzig/wien
Jurybegründung
In diesem gedankenscharfen Mix aus Lesung, Schauspiel und Installation sind die bitter-schönen Kopfwelten des Schweizer Autors Markus Werner zu entdecken und bewundern. Das alte Thema Liebe umarmt die Zuschauer im Sinnsuchen mit einer existentialistischen Tiefe, die tatsächlich Neues zum Menschsein preisgibt. Verena Noll und Andreas Gugliemetti schaffen dies ohne Emotionsschlacht über eine wohltuend unmoderne Haltung konzentrierter Aufmerksamkeit und hoher Verletzlichkeit – exzellent auch in Sprache und Spreche!