Preisträger 2017

WONDERWOMEN
von Melanie Lane

 

 

 

 

Die Tanzperformance der Choreographin Melanie Lane stellt die Begegnung der weiblichen Bodybuilderinnen Rosie Harte und Nathalie Schmidt dar. Zwei Frauen werfen einen Blick auf ihre höchst anspruchsvolle Sportart, welche Körper sowohl verstärkt als auch transformiert. Im Streben nach einer ultimativen physischen Form, bringen die Frauen ihre gut ausgebildeten Körper und ihr Potenzial in eine neue Bewegungssprache. Als Dialog zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit, Repräsentation und Transformation ist Wonderwomen der Versuch, den weiblichen Körper neu zu entdecken, zu erfinden und zu behaupten.

Melanie Lane, 1978 in Sydney (Australien) geboren, ist Choreografin und Tänzerin. Seit 2004 lebt und arbeitet sie in Berlin. Nach ihrem Studium an der Western Australian Academy of Performing Arts arbeitete sie in verschiedenen Ländern Europas, unter anderem mit den Choreografen Club Guy and Roni (Holland), Tino Seghal (Berlin), Jan Pusch (Hamburg) und Arco Renz | Kobalt Works (Belgien). Ihre choreografischen Arbeiten wurden bislang in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Portugal und Australien gezeigt.

Konzept und Choreographie Melanie Lane Performance Rosie Harte and Nathalie Schmidt Lichtdesign Fabian Blesich Sounddesign Clark Bühnenbild Robert Bartholot Dramaturgie Frances d’Ath Choreographische Assistenz Florian Bücking Produktionsleitung: M.i.C.A. Produziert von Melanie Lane in Koproduktion mit dem LOFFT – DAS THEATER und HAU – Hebbel am Ufer Förderer Kulturamt Leipzig NATIONALES PERFORMANCE NETZ (NPN | Koproduktionsförderung Tanz aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages).

Bewegungskunstpreis 2017

Den Preis nahmen bei der Bewegungskunst-Gala und Preisverleihung am 3. Februar 2018 in der Schaubühne Lindenfels Nathalie Schmidt und Florian Bücking (Choreographische Assistenz) stellvertretend entgegen.

Foto (c) Thilo Neubacher, v.l.n.r.: Gotta Depri und Hauke Heumann (Gintersdorfer/Klaßen), Florian Bücking (Wonderwomen, Choreographische Assistenz), Renate Geschick, Miss-Geschick von Leipzig (Stefan Ebeling, Moderation), Dr. Skadi Jennicke (Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig), Nathalie Schmidt (Wonderwomen, Performance), Thomas Jochemko (Geschäftsführer Leipziger Anzeigenblatt Verlag) und Ronald Schubert (Vorsitzender Bewegungskunstpreis und Festival).

 

Die Jury über den Preisträger des Leipziger Bewegungskunstpreises 2017

Seien wir ehrlich: für die etwas älteren unter uns ist Bodybuilding ein Kind der Achtziger, das nie erwachsen geworden ist. Unser Bild davon ist geprägt, von sich in skulpturale Posen werfenden, kraftstrotzenden, eingeölten Männerkörpern. Die Jüngeren beschäftigt inzwischen wohl eher die schmerzfreie Entfernung der ersten und zweiten Generation Tattoos, als der eigene Bizepsumfang. Keine Frage, Körperoptimierung und –zurichtung ist heute eine immer noch virulente Frage, aber wir sind da doch etwas filigraner und vielschichtiger geworden!

Mit diesen und ähnlichen Vorurteilen im Hinterkopf sitzen wohl die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer in der Choreografie „Wonderwomen“ von Melanie Lane, die zwei erfolgreiche und international bekannte Bodybuilderinnen auf die Bühne stellt.

Die erste und nicht unerhebliche Leistung von „Wonderwomen“ ist es, mit Nonchalance und Leichtigkeit das Thema Bodybuilding und die damit assoziierten Klischees zu zitieren und zugleich deutlich werden zu lassen, dass es hier um etwas ganz anderes geht. In keiner Weise macht sich die Inszenierung die Faszination oder die Abscheu zu nutze, die mit diesem Sport verbunden sein mag. Nie werden die Körper von Rosie Harte und Nathalie Schmidt zum Objekt bloßer Ausstellung und Fetischisierung. Schon im ersten Bild der Inszenierung wird das Konzept, das solche eindimensionalen Zuschreibungen verhindert, klar: ein langsames und doch stetiges Changieren zwischen verschiedensten Bedeutungsebenen. Die in einen riesigen, ölig glitzernden Stoff gehüllte Spielerin Rosie Harte bewegt sich durch verschiedene, teils skulpturale Körperhaltungen. Diese lassen in dem dezent eingerichteten Licht verschiedene Assoziationsräume aufscheinen. So erinnert der Faltenwurf des Stoffes in einem Moment an ein voluminöses Abend- oder gar Hochzeitskleid, einen Augenblick später betont er die wuchtige Statur, bevor die Bewegungen unter dem Tuch einen mechanischen Charakter bekommen – Abläufe einer gut geölten Maschine. Dann steigt die zu Beginn reglos am Boden liegende Nathalie Schmidt in die Bewegung mit ein und es entspinnt sich ein langsamer und doch wunderbar leichter Tanz knapp über dem Bühnenboden. Gleichsam ein Kommsentar auf den klassischen Tanz, der Leichtigkeit und Unbeschwertheit meist in möglichst akrobatischen Sprüngen sucht.

Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Melanie Lane eine ganz eigene Welt für ihre Spielerinnen gefunden hat. Genau hier, knapp über oder auf dem Boden, findet die Inszenierung eine ungewöhnliche Grazilität und Eleganz. Sie speisen sich aus der hoch trainierten Muskulatur der Körper, die es ihnen ermöglicht, sich in langsam ineinander übergehenden Haltefiguren scheinbar mühe- und schwerelos über den Boden zu bewegen. Fast ironisch erscheinen die angedeuteten Liegestütze und das hin und wieder heftige und gepresste Atmen, die auf die mühselige Arbeit des Trainings verweisen. Doch dieser Gedanke kann die dargebotene Konzentration und Intensität der Bewegungen kaum stören. Vielmehr entwickelt sich eine Selbstgewissheit und -genügsamkeit der Körper, die einen zunehmend geschlossenen Bühnenkosmos erschafft. In ihm entwickelt sich eine eigentümliche Intimität, die sich dem Zuschauer nicht exponiert, sondern ihn eher zurückweist. Der trainierte Körper heischt nicht nach dem bewundernden Blick, sondern bescheidet sich auf die stetige Bewegung im Spannungsfeld zwischen eigener Kraft und Schwerkraft.

Körperbilder sind Bestandteil unseres sozialen, gesellschaftlichen Gefüges. Die Entscheidung, dem eigenen Körper ein muskulöses Aussehen zu geben, ist eine klare Botschaft der Stärke, Kontrolle und Unabhängigkeit, eine Entscheidung gegen gängige Körperbilder und Zuschreibungen von Weiblichkeit. Denn natürlich geht es in „Wonderwomen“ auch dezidiert um Frauenbilder. Um deren Wahrnehmungen, um gesellschaftliche Zuschreibungen. Wer und was definiert, was „weiblich“, was „weibliche Schönheit“ ist? Und was schwingt mit, wenn man diese Definitionen konterkariert, die Wahrnehmung hinterfragt, die Zuschreibungen umpolt? In Bildfindungen, die die Posen einschlägiger Bodybuilding-Wettkämpfe aufgreifen, um sie in ein szenisches Gefilde zu transformieren, eröffnen sich dann auch zunehmend ganz andere Assoziationsperspektiven.

Etwa, wenn sich aus dem Bewegungsfluss der wechselnden Posen heraus Harte und Schmidt zu einem vierarmigen Wesen fügen, das an Kali, die Hindu-Göttin des Todes, der Zerstörung und der Wiedergeburt erinnert. In dem sie die geöffneten Haare über die Schulter und neben den Haarschopf der jeweils anderen legen, bilden sie – die eine schwarzhaarig, die andere blond – ein gegensätzliches Zwillingspaar. Gleichsam – und wie bewusst oder bloß intuitiv auch immer von der Choreografie forciert – sprengt sich da ein Referenzrahmen. Aufgetaucht für Momente aus der Unterströmung der Inszenierung an deren Oberfläche, um bald wieder hinter dieser zu verschwinden

Indem Melanie Lanes Spielerinnen einfach die kompletten Register von zart bis hart besetzen, führen sie die noch allzu landläufige Denkstruktur, die in der Dichotomie der Geschlechterbilder verharrt, ad absurdum. Wie weit kommt man mit der Frage nach weiblich und männlich bzw. bestimmten Rollenbildern? Eine wunderbar heitere, unheimliche und unentschiedene Antwort liefert Hartes verbale Einlage, die sie, in einen schwarzen, transparenten Umhang gehüllt, in Richtung Hinterbühne gibt. Alle Facetten ihrer Stimmbänder ausnutzend ist sie in rasendem Wechsel alles zugleich: flehendes Mädchen, keifende Hexe, brüllende Kriegerin.

In der Verwandlung und der Ambivalenz der Inszenierung liegt die unbestrittene Schönheit dieses Abends. Sie will keine Antworten oder Statements auf eine wie auch immer geartete Geschlechterpolitik liefern, genauso wenig wie sie den Sport Bodybuilding und dessen Körperkult thematisiert. Aber sie spielt mit diesen Bezügen und Ebenen virtuos. Und so hat es eine unterschwellige Ironie, wenn Harte und Schmidt sich am Ende des Abends dann tatsächlich in die erwarteten Posen werfen und scheinbar freundlich, sich dem Urteil der Zuschauer unterwerfend, ins Publikum lächeln. Doch gerade dieser mehr oder weniger ernst gemeinte Versuch wieder in eine Eindeutigkeit zu gelangen, ist durch das vorangegangene unmöglich. Das Lächeln von Harte und Schmidt hat eine unheimliche Doppelbödigkeit, die die Zuschauerinnen und Zuschauer noch lange nach dem Schlussapplaus begleitet.

Mit ihrer Performance „Wonderwomen“ gelingt es Melanie Lane auf wunderbare und kunstfertige Weise unzählige Fragen und Assoziationen in die Köpfe ihres Publikums zu pflanzen. Sie und ihre Spielerinnen Rosie Harte und Nathalie Schmidt bringen mit großer Lust und durch präzise Spielweise Unordnung in das von ihnen ausgebreitete Feld von Körper- und Geschlechterbildern. Und das große Verdienst der damit einhergehenden Verunsicherung liegt darin, dass sie das Schweigen vermeintlicher Gewissheiten bricht. Denn wir haben es heute nötiger denn je, die Bilder und Vorstellungen, die wir mit uns herumtragen und mit denen wir uns und andere messen und bewerten, infrage zu stellen und immer neu zu diskutieren. „Wonderwomen“ ist eine hervorragende Gelegenheit, um in diesen Diskurs einzusteigen. Die Jury bedankt sich für diese spannungsreiche und vielschichtige Arbeit und gratuliert Melanie Lane zum Bewegungskunstpreis 2017!