Eine Koproduktion der Compania Sincara mit der Schaubühne Lindenfels
Turandot? Ach ja. Hat man schon gehört… Oper! Puccini. Auch Brecht! Und das Märchen für Theater von Gozzi? Hat immerhin Schiller bearbeitet. Ist das nicht diese männermordende Prinzessin? Es geht jedenfalls um eine Kaisertochter, die einem Kandidaten nach dem andern, weil sie ihre Rätsel nicht erraten, den Kopf abschlagen lässt. Also allen, die Kaiser von China werden wollen. Für die abgeschlagenen Köpfe ist bald kein Platz mehr auf der Stadtmauer. Und andauernd ist Krieg. Kopfabschlagen und Krieg. Da gibt’s nichts zu lachen. Oder?
Bei Compania Sincara treten der Kaiser von China und seine Tochter als ›kleine Leute‹ auf. Dafür kommen fünf seltsame Vögel ganz groß raus. Einmal hatten diese dummen Hänse Posten am Hof von Zhōngguó, dem Reich der Mitte. Chef der Eunuchen der eine, des Dienstpersonals der andre. Drei saßen auf Ministerposten: für Finanzen, Justiz und Verteidigung. Nun sind sie wie die Zugvögel nach dem Winter zurück und zwitschern uns was von der Sache mit dem Quiz und dem Kopfabschlagen. Aber auch von andren Dingen, denn so wie in der Fremde studieren sie bald dort, bald hier immer mal wieder die Menschen. Kommt und seht, was sie herausgefunden haben!
Jurybegründung: Truffaldino, Chef der Eunuchen, setzt sich aus Versehen auf seine »liebe kleine Prinzessin Turandot« und zerquetscht gleich am Anfang die Hauptperson. Was nun? Trotzdem muss die Geschichte erzählt werden. Aber begeistert sind die von Gozzi bekannten Masken alias kaiserlichen Hofbeamten scheinbar nicht sofort. Teils zu viele Leichen im Keller (irgendjemand muss sich schließlich um die geköpften Heirats- und Thronbewerber kümmern), teils ist die Eunuchen-Rolle wortwörtlich zu »schwer«, teils gibt es Streit, ob »authentisch« oder »künstlich« zu spielen ist. Diese und andere erstaunliche Erfindungen präsentiert die Compania Sincara in ihrem neuesten Stück und »blamiert« sich dabei, wie Truffaldino befürchtet, ganz und gar nicht: Groß- und wichtigtuerisch, tänzerisch, mit Richtbeil und Mantel, bezauberndem Häubchen und einem Faible für guten Applaus ziehen die Masken mit einer ganz eigenen Märchenversion das Publikum auf ihre Seite. Wie im Programmheft zu TURANDOT nachzulesen ist: »Compania Sincara macht tolles Theater!« Da kann man nur zustimmen und hoffen, dass diese Hänse und Spottvögel uns Menschen in Leipzig und anderswo bald wieder beehren.
Compania Sincara unter der Leitung von Rico Dietzmeyer | Masken- & Figurenbau: Franziska E. Schubert | Es spielen: Rico Dietzmeyer, Felicitas Erben, Gwen Kyrg, Eric Schellenberger und Marie Wolff | Bühnen- und Objektbau: Lisa-Maria Totzke | Produktionsleitung und Licht: Christoph Püngel | Musik: Laurenz Welten | Assistenz: Julie Bader & Alejandro Vallejo Barguil.
Das Scenario wurde gemeinsam unter künstlerisch-schöpferischer Beteiligung aller Mitglieder der Compania erarbeitet.
Compania Sincara ist ein 2016 gegründetes Theaterkollektiv mit Basis in Leipzig. Der Name Sincara (von spanisch sin cara, »ohne Gesicht«) spielt auf die besondere Theaterarbeit mit Masken und Figuren an, durch die sich die Compagnie auszeichnet. In ihrem spielerischen Umgang mit neuen und historischen Spiel- und Erzählweisen schafft sie Theatererlebnisse voller Spielfreude und Poesie. Tourneen und Gastspiele führten sie bereits durch mehrere europäische Länder.
Eine Koproduktion der Compania Sincara mit der Schaubühne Lindenfels.
Foto: Ruslan-Hrushchak
Die Jury über den Preisträger des Leipziger Bewegungskunstpreises 2019
Am kalten Vorabend des Weihnachtsfestes 1915 hat die Redaktion einer wenig bekannten Petersburger Zeitschrift Post aus dem Jenseits erhalten. Graf Carlo Gozzi höchstpersönlich war dem finsteren Hades entstiegen, um sie zu besuchen und ein versiegeltes Manuskript auf dem Redaktionstisch zu hinterlassen. Auf den leicht vergilbten Seiten mit geschnörkeltem Schriftzug war die folgende Prophezeiung zu finden: »Ich habe die maßlos lange Reise in Ihre Stadt unternommen und bereue es nicht. Die schneebedeckten Plätze, die geradlinigen Straßen, die Skulpturen an vielen Häusern, der wunderbare Fluss – alles dies ist meinem Herzen lieb und entspricht meinem Geschmack und meinen Neigungen. Ich bitte Sie, sagen Sie Ihrem Theaterpublikum, dessen Augen von der neuen Art der Theaterbeleuchtung verdorben sind und vor dem die Komödianten bedeutungslose Stücke spielen, sagen sie ihm, Ihre Stadt ist zum Schaffen und Aufblühen einer szenischen Kunst bestimmt, an die man bei Ihnen nicht einmal zu denken wagt. Hier, wie nirgends sonst, können die Masken der italienischen Improvisations-Comödie erklingen, die ich so liebe und deren Rolle in der Blütezeit vieler Theaterepochen so bedeutungsvoll gewesen ist.« Und so begaben sich die Redakteure, wie es die Prophezeiung vorsah, auf die Spuren Gozzis, Theater-Magus im Besitz eines Zauberstabes, mit dem er einst »wilde Tiere in Versen sprechen, Fürsten auf Meeresungeheuern reisen und nussgroße Tränen vergießen« ließ.
Diese kleine Geschichte erschien in einem Heft, dessen Seiten selbst inzwischen vergilbt sind. Es ist das Journal des russischen Avantgarde-Regisseurs Vsevolod Meyerhold und trägt den Namen Die Liebe zu den drei Orangen nach dem Titel eines Theaterstückes des verehrten Zauberers. Noch heute kündet das Journal davon, wie es damals war, von der Wiederbelebung der Schauspieler-Traditionen nicht nur zu träumen, sondern diesen praktisch-experimentell nachzugehen. Können die Traditionen aber, wenn die Pflanze einmal verkümmert ist und die Früchte verdorrt sind, in der neuen Gegenwart überhaupt wieder wachsen? Wie schwierig eine Antwort darauf ist und wie viel Arbeit sie macht, ist dem an diesem Abend prämierten Theaterkollektiv mehr als bewusst.
Nicht Orangen, wohl aber Zitronen rollten über den Boden der Schaubühne Lindenfels als Premierengabe, während die erste Vorstellung von TURANDOT. Ein Theatermärchen. Frei nach Carlo Gozzi mit begeistertem Applaus zu Ende ging. In Leipzig, einer Stadt mit Skulpturen an vielen Häusern und dem wunderbaren Fluss, in Zeiten, in denen die Plätze allerdings schon länger keine weiße Weihnacht mehr erlebt haben. Soeben waren Truffaldino, Pantalone, Dottore, Brighella und Capitano noch da: fremd-vertraute Figuren, denen sich die Compania Sincara im Laufe ihrer Proben auf sinnlich-physische und musikalische Weise genähert hatte. Gerade noch haben sie Bertolt Brechts und Hanns Eislers Kinderhymne ihre Stimmen geliehen ebenso wie ihre andersartige Perspektive auf diese Welt, und schon sind sie mit dem Erlöschen der Bühnenlichter und den verbliebenen, in der Tiefe des Raumes verhallenden Klavierakkorden wieder verschwunden. Es dämmerte im Saal, das Licht kam zurück, aber scheinbar nur, um uns zu zeigen, wie verlassen eine Bühne doch sein kann. Etwas Wehmut mischte sich in den Beifall, darüber, dass es vorbei war: vorbei die Fülle, die Kontaktfreude und Offenheit des Spiels, womit die eigentümlichen Spottvögel für eine Stunde Erdenzeit die Regentschaft übernommen hatten.
»Wen interessiert, ob Turandot den Prinzen Kalaf liebt oder nicht?«, schrieb Evgenij Vachtangov, der wie Meyerhold auf der Suche nach der schauspielerischen Meisterschaft war und dabei ebenso Gozzi als Vermittler wählte. Nicht einfach den Inhalt des Märchens sollten die Akteure seines Studios den Zuschauern vorführen, vielmehr ihr zeitgenössisches Verhältnis zu dem Stück. Es wertschätzen, aber auch lernen, ihre Ironie, ihr Lächeln einzubringen – über das Schreckliche und Tragische, von dem die eigentlich persische Erzählung über die gestrenge Prinzessin handelt. Dass er dabei – und ihm gleichsam zurufend die Compania Sincara – nicht Schillers Nachdichtung, sondern die Originalvorlage von 1762 vorzog, hatte Methode. Ging und geht es doch um Möglichkeiten der Rückgewinnung von Verfahren und Spielweisen, um das Trainieren von Fertigkeiten der Verwandlung und Improvisation.
Nun ist es ein besonderes Vergnügen zu sehen, wie die Compania die Trainingssituation selbst zum beweglichen Spielball der Aufführung macht: So stellt etwa Brighella zur Schau, inwiefern er mit einer glaubwürdigen Verwandlung seine Probleme hat. In einen schönen blauen Umhang gehüllt versucht er sich mehr schlecht als recht in der Pose des Prinzen, bemüht um ein paar Brocken Französisch. Schon die andere Rolle, Chef des Dienstpersonals am kaiserlichen Hof, hatte er zu beschwerlich gefunden. Und während man die mit abgeschlagenen Köpfen besetzte Halb-Mauer-halb-Stellwand hinter ihm im Blick hat, also auf mindestens dritter Imaginationsebene ahnt, in welche Gefahr er sich mit dieser Übung begibt, wischen Pantalone und Dottore seine kläglichen Ansätze großschnäuzig beiseite. Mit einander überbietenden Tipps und Tricks zeigen sie, wie es richtig geht, mit affektierter Geste oder aber natürlichem Auftreten zu beeindrucken – in der Kunst, in der Beziehung oder im Bewerbungsgespräch. Genussvoll betrügen sie Brighella um die ganze Nummer und treiben diese volltönend mit einem populären Stück Puccini-Musik, der Glanzarie des siegreichen Kalaf, auf die Spitze.
»Gesicht verlieren, um Gesicht zu zeigen«. Das ist ein Credo der Compania, welches schon für sich genommen eine Bastion des Alltags ins Wanken bringt: die gesellschaftliche Forderung nach Selbstidentität und Eindeutigkeit der Person, die aktuell, ausgestattet mit Big Data und Erkennungssoftware wie MegaFace und Clearview, durchaus antritt, sich zu einer bislang unbekannten Totalität aufzuschwingen. Es braucht in der Tat nur wenige Minuten nach Vorstellungsbeginn, um zu bemerken, wie kostbar und heilsam das Angebot ist, das uns hier und jetzt unterbreitet wird – ein Angebot, das unser Wahrnehmungspotenzial freisetzt, das unsere, um es mit dem Arabisten Thomas Bauer zu sagen, »Ambiguitätstoleranz« wieder zu nähren vermag. In Turandot wird nämlich gekonnt über Bande gespielt. Offensiv-materiell kokettieren die Masken mit dem Publikum, samt Kleid, Sprüchen und Bewegungskörper, nichtmenschlichen Kräften und Attributen. Der befiederte Capitano pickt eifrig jemandem aus der fünften Reihe einige Körnchen aus der Hand, bevor er zum todbringenden Richtbeil greift. Truffaldino, der uns artistisch versichert, dass er nicht ungeschickt sei, setzt sich prompt auf die Prinzessin und schafft damit versehentlich die beherrschende Macht im Staate ab. Und die Hauptperson des Stückes noch dazu. Eigens hervorzuheben ist dabei, dass es einer großen Handwerkskunst bedarf, um den Gesichtsmasken ihre Gestalt und solch wirksame Praxisfähigkeit zu verleihen.
Das Erstaunlichste und Wunderbarste am Projekt Turandot aber lässt sich am einfachsten sagen: Es funktioniert. So alt die Maskenfiguren und so rar gegenwärtige Kenner der dazugehörigen Erzähltechniken auch sind – das Publikum, und zwar ganz unterschiedlicher Jahrgänge und Hintergründe, versteht sie. Das ist weder begrifflich noch einseitig gemeint, hingegen als Lust sich wechselseitig zu verstehen, sich in direkter lebendiger Relation mit den Spielern zu verständigen: über Identitäten, Machtpositionen und vermeintlich zementierte Ordnungen. Benno Besson, ebenfalls ein Meister des Maskentheaters, formulierte es so: »Es ist die Kunst, zwischen diesen beiden Gemeinschaften [Akteuren und Publikum] unsere Wirklichkeit aufs Spiel zu setzen; damit zu spielen; damit hantieren, um sie handhaben zu können.« Hinzuzufügen bleibt: Auf dass wir weder Anmut noch Mühe, weder Leidenschaft noch Verstand im Umgang mit den Herausforderungen der Wirklichkeit sparen mögen. Die Jury gratuliert der Compania Sincara herzlich zum Bewegungskunstpreis 2019.
Weitere Nominierte für den Leipziger Bewegungskunstpreis 2019
DIE ZERSÄGTE FRAU - Angelika Waniek
Eine Solo-Performance von Angelika Waniek - entstanden in Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Bühnenbildnerin Doris Dziersk in Kooperation mit der Schaubühne Lindenfels.
Angelika Wanieks Solo-Performance ist ein Spiel mit der Illusion. In einer Interaktion von Objekten, Körper und Sprache wird Unsichtbares sichtbar. Der 1922 in den USA patentierte Zaubertrick „Sawing a woman in half“ des Magiers Horace Goldin ist Ausgangspunkt der Performance. Eine Frau wird in Unter- und Oberleib zerzägt und anschließend wieder zusammengefügt. Während den ersten Vorführungen, so wird erzählt, sollen ZuschauerInnen in Ohnmacht gefallen sein.
Der Frauenkörper und unterschiedliche Ausprägungen gesellschaftlicher Projektionen auf ihn sind nicht nur bis heute virulent in Zaubershows und anderen Bühnenformaten, sondern auch in Malerei, Literatur, Film, Computerspielen sowie der Wissenschaft. Eine Gegenposition dazu nimmt die Performancekunst der 1960er und 1970er Jahre in Europa und den USA, vertreten z.B. durch Valie Export, Marina Abramovic und Ana Mendieta, ein.
Die Solo-Performance ist ein Spiel mit Illusion. In einer Interaktion von Objekten, Körper und Sprache wird Unsichtbares sichtbar. Zauberei ist auch dabei: Dinge schweben, etwas wird aus dem Nichts produziert, Körper werden getrennt und das Körperlose kommt zum Vorschein. Konkret: Es ist der Körper einer Frau, der hier zerschnitten, zerkleinert, als Zielscheibe genutzt, gezerrt, zum Verschwinden gebracht wird und als Ganzes wieder auftaucht.
Jurybegründung: Das Zersägen einer Frau auf offener Bühne, die Zerteilung ihres Körpers in Ober- und Unterleib und die Neuverfügung dieses Körpers, also die Neubelebung dieser Frau, dank der Macht „männlicher“ Magie: Es ist inzwischen ein Klassiker klassischer Zaubershows, womit 1922 der Illusionist Horace Goldin für Furore sorgte. Unter dem Namen „Sawing a woman in half“ ließ sich der einst jene Nummer patentieren, die jetzt ihrerseits der Künstlerin Angelika Waniek den Anstoß zu „Die zersägte Frau“ lieferte. Eine Soloperformance, die Sprache, Bewegung, Objekte wie Einzelorgane vorführt – und sie zu einer magischen Melange melancholisch-witziger Skurrilität verfügt. Was sich darin nun auch in seiner poetischen Eigenheit abzeichnet, ist nicht weniger, als die stille Erzählung von der Sehnsucht nach einer Umkehrung, der Heilung unheilbarer Wunden, der Überwindung der Gewalt.
Beteiligte:
Konzept, Performance, Objekte: Angelika Waniek
Bühne, Objekte: Doris Dziersk
Eine Produktion von Angelika Waniek in Kooperation mit der Schaubühne Lindenfels. Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes. Zudem gefördert durch das Kulturamt Leipzig.
Angelika Waniek (*1975) lebt und arbeitet als Performerin in Leipzig. Sie studierte Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und Freie Kunst an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Seit dem WS 2014/2015 lehrt sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig im Fachbereich Medienkunst. In ihren Solo Performances analysiert sie bestehende kulturelle und historische Narrative, die mit den jeweiligen Aufführungs- und Ausstellungsorten verbunden sind und erzählt diese in einer "Waniekschen" Storytelling-Manier wieder. In ihren Arbeiten im Kontext der Bildenden Kunst ergeben sich Überschneidungen mit AkteurInnen aus den Bereichen Literatur, Tanz und Theater. Zusammen mit Martina Hefter und Ulrike Feibig ist sie Teil des Leipziger Performancekollektivs Pik7. 2016 kaufte der Freistaat Sachsen über die Kulturstiftung des Landes erstmals Performances an, darunter auch drei von Angelika Waniek.
Doris Dziersk (*1973) lebt und arbeite in Leipzig. Sie studierte in London freie Kunst und arbeitet als bildende Künstlerin und Bühnenbildnerin. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch hohes Kontextbewußtsein aus: der Ort und das Thema der Arbeit bestimmen maßgeblich Medium und Form. Sie entwirft Bühnenbilder, Installationen und Videos. Kooperationen erfolgten bisher mit den ChoreografInnen und RegisseurInnen Meg Stuart, Enrico Stolzenburg, Peter Kastenmüller, Matthaei&Konsorten, Gesine Danckwart, Doublelucky und zur Zeit mit den Berliner Festspielen. Sie entwickelte Installationen für X Wohnungen in Berlin und Caracas, für den Steirischen Herbst, das C 60 Collaboratorium, auf Einladung von raumlabor berlin und in Kollaboration mit der bildenden Künstlerin Anke Philipp, mit der sie unter anderem die Neugestaltung der Residenz der Leipziger Schauspiels unter der neuen Leitung von Thomas Frank entwickelte. Doris Dziersk wurde für ihre Arbeit 2009 mit dem Hamburger Rolf-Mares-Preis und 2012 mit dem New Yorker Bessie-Award ausgezeichnet.
Foto: Doris Dziersk
DIE ÜBERFLÜSSIGEN - Derweil
Ein Maskentheaterstück der Gruppe Derweil über die Wiederbelebung Dreier, die durch ganz individuelle Auflehnung aus ihrer Isolation ausbrechen, über ungewöhnliche Wohnverhältnisse und die Absurditäten des Alltags.
Es tropft. Der Putz bröckelt von den Wänden und die einst so sorgsam ausgewählte Blümchentapete befindet sich in einem jämmerlichen Zustand. Der traurig daliegende Flur bietet auch dem Wind nur noch einen Anlass zum Heulen. Als da hinter einer der längst verlassen geglaubten Türen laute Grammophonmusik erschallt und eine verstaubte aber prunkvolle Dame den Flur betritt um ihre alltäglichen Ballettübungen zu beginnen, fängt auch der erste Eindruck an zu bröckeln. Das Morgenritual lockt noch weitere Gestalten aus ihren mehr oder weniger stabilen vier Wänden und bald wird der Flur wieder zum gemeinsamen Wohnzimmer umfunktioniert. Die Töpfe werden zum Waschen unter das poröse Dach gestellt, der Haus- und Flurmops führt seinen Besitzer eine Runde spazieren und Herbert sucht wieder einmal seine Socken. In diesem heruntergekommenen Gebäude, hat sich eine harmonische und absurde Gemeinschaft gebildet, die durch Kooperation und kreatives Umfunktionieren, sehr gut mit dem wackeligen Zustand ihres Heimes, leben kann. Es sind fünf oder sechs Menschen die diesen Ort, trotz des prekären Zustands, ihr Zuhause nennen. Die sich dem Verfall stellen und ihren Platz unter keinen Umständen räumen wollen. Im Laufe des Stückes zeigen sich die unterschiedlichen Motivationen der Figuren. Bei dem einen ist es sturer Trotz, beim anderen aktiver, politischer Widerstand gegen die Gentrifizierung und wieder andere, merken einfach gar nicht, wie sich der Zustand des Hauses immer weiter verschlechtert. Auch nicht, als der Druck der Außenwelt nach und nach, in die außergewöhnliche Idylle eindringt. Der Lärm der Baumaschienen und das sich ständig ändernde häusliche Umfeld, werden von den Protagonisten, erstaunlich gut in den Alltag integriert. Doch der wachsende Druck durch Bau- und Immobilienfirmen und durch die eigenen Angehörigen, wie auch der stetige, konsequente Widerstand der Bewohner*Innen, wird mit der Zeit zur Bewährungsprobe für alle Beteiligten.
Jurybegründung: So ein Treppenhaus ist eigentlich ein toter Ort. Meist schaut es auf verschlossene Wohnungstüren, und die Bewohner begegnen sich – wenn überhaupt – allenfalls zufällig und flüchtig. Der Hausflur der drei Überflüssigen hat ein geradezu überraschendes Eigenleben, und das nicht nur, wenn Regenwasser hineintropft. Die Bewohner sind vereinzelt und eher gedrückter Stimmung, die sich ohne Worte und – dank der Masken – ohne Mimik äußert; übrigens auch fast ohne Musik, vielmehr mit starkem Soundeinsatz. Somit bringt die Gruppe Derweil einen ungewöhnlichen Ausschnitt von Ausdrucksebenen in einen ungewöhnlichen Begegnungsraum, was den Interaktionen eigenen Charme verleiht. Bei allem bitteren Ernst der plötzlichen Anwesenheit von Leuten mit Klemmbrettern, die ohne Rücksicht auf die überflüssigen Bewohner den Hausflur begutachten, entstehen Lacher und damit eine fein austarierte Balance von Politik und Gags zwischen drei Wohnungen.
Theater Derweil
Spiel, Maskenbau, Konzept: Anita Gröbl, Philine Maidt, Sebastian Utecht | Regie: Aziza Bouizedkane, Richard Kimberley | Bühnenbild: Lisa Schoppmann | Bühnenbau: Jorik Maidt (Zirkuswagen Manufaktur Leipzig) | Sound, Geräusche: Nicolas Morgenroth, Olaf Simon | Licht Design: David Horsters | Requisite, Licht: Nicolas Ellerkamp | Video: Leon Naffin
Foto: Martin Dost
Weitere Bewerber 2019
KÄTHE - Vom Leben/Gezeichnet
"KÄTHE - Vom Leben/Gezeichnet" ist ein Theater-Stoff, gewebt aus bildender Kunst, Dramatik und Zeitgeschichte. Im Zentrum stehen Käthe Kollwitz' Werk und Gerhart Hauptmanns Drama "Die Weber". Aus zweidimensionalen Grafiken entstehen dreidimensionale Theaterszenen. Skulpturen beginnen zu atmen.
„Der Krieg begleitet mich bis zum Ende“, notierte die Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz sechs Tage vor ihrem Tod am 22. April 1945 in ihr Tagebuch. Sie hinterließ ein zutiefst berührendes und erschreckend zeitloses Werk, das nur aufgrund eines authentisch und humanistisch gelebten Lebens möglich erscheint. Anteilnehmend an der Arbeit ihres Mannes Karl Kollwitz, der als Arzt v.a. in Berliner Arbeiterfamilien praktizierte, aber auch geprägt durch die Erfahrung beider Weltkriege, insbesondere des Verlustes ihres jüngeren Sohnes Peter, wurde die Darstellung des sozialen Elends und des vom Krieg verursachten Leids für ihr Lebenswerk bestimmend.
Die Inszenierung greift einzelne Werke, u.a. den Zyklus „Ein Weberaufstand“ und die Skulptur „Die trauernden Eltern“, auf und spinnt sie weiter. Holzschnitt wird zu lebendigem Schauspiel. Theater gefriert zu Bildhauerei. Grafik erwacht durch die Körper der Schauspieler zum Leben. Die Bühne als Webstuhl beginnt zu arbeiten und bildet die Brücke zu Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“, dessen legendäre Uraufführung Käthe Kollwitz als junge Künstlerin miterlebte und die sie unmittelbar zu ihrem grafischen Zyklus inspirierte. Eingebunden in Tagebuchnotizen, Erinnerungen und Briefe nähern wir uns einer leidenschaftlichen Persönlichkeit, die nicht eher sterben wollte, als bis sie ihre „Aufgabe erfüllt“ habe und deren Lachen so laut gewesen sein soll, dass ihr ganzer Körper bebte.
„Wie war mein Leben stark in Leidenschaft, in Lebenskraft, in Schmerz und Freude.“ (Käthe Kollwitz, Tagebuchnotiz)
erweiterte zugeständnisse leipzig/wien.
Beteiligte:
Schauspiel: Laila Nielsen, Verena Noll, Johannes Gabriel, David Jeker und Statisten
Konzeption: Friederike Köpf und Verena Noll
Regie: Friederike Köpf
Ausstattung: Elisabeth Schiller-Witzmann
Bühnenmusik: Robert Rehnig
Foto: Schaubühne Lindenfels
Cowboys
COWBOYS ist ein grelles, anmaßendes Tanzspektakel über Populisten an der Macht.
Die Trumps und Gaulands, die Putins und Le Pens des Politikzirkus bevölkern das Panoptikum des Stücks. Ihre Schamlosigkeit und Egomanie wird der liberalen Mehrheit des Landes als tägliche Soap serviert. Fiebergeile Underdogs machen diese Cowboys erst zu Helden und geschockte Liberale befeuern den Kessel mit ihrer Aufrichtigkeit und Empörung. COWBOYS ist ein Tanz auf dem Pulverfass. Eine krachende Symbiose aus brillantem Stepptanz, Live-Musik und einer kruden, wütend-inspirierten Körperlichkeit. Eruptiv, schrill und berauschend.
Beteiligte:
Tanz: Andrea Alvergue, Helen Duffy, Janne Eraker, Vilma Kananen, Nikolai Kemeny, Jonas Nermyr, Sebastian Weber
Musik: Werner Neumann (git), Steffen Greisiger (organ), Tom Friedrich (dr)
Choreographie: Sebastian Weber + Company
Komposition: Werner Neumann, Steffen Greisiger
Assistenz: Michela Pesce
Kostümbild: Rebecca Löffler
Produktionsleitung: Josepha Vogel
Dramat. Beratung: Lidy Mouw, Guy Cools
Foto: Tom Dachs
Kleine Geschichten
von LEW TOLSTOI
mit Tanz, Schauspiel und Musik für Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene
Lew Tolstoi, der sonst selten unter tausend Seiten blieb, hat, was nur wenige wissen, auch ein paar zauberhafte Miniaturerzählungen für Kinder geschrieben. Essenzen von etwa zehn Zeilen, die auf humorvolle und ergreifende Weise grundlegende Themen des Daseins berühren: Verbindung, Verantwortung, Liebe, aber auch Einsamkeit, Schmerz, und Tod werden nicht ausgespart.
ciacconna clox tanzt und spielt zum ersten Mal ein Stück für Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene und erweckt die Tolstoischen Perlen zum Leben. Auf einer Bühne mit elementaren Dingen wie Stroh, Wolle, Erde und einem Brotteig agieren die Tänzerin Anna Städler (Berlin) und die Schauspielerin Katja Rogner (Dresden). Mit viel Musik und viel Humor verkörpern sie die Figuren - Kinder, eine Großmutter, sogar eine Hündin und einen Vogel und tauchen ein in deren Geschichten voller sinnlicher, archaischer Erfahrungen.
Die 2002 in Leipzig gegründete Compagnie ciacconna clox produziert Projekte für Kinder und Erwachsene, ursprünglich mit dem zeitgenössischen Tanz im Zentrum. Schon immer arbeiten Künstlerinnen und Künstler aus anderen Genres wie Schauspiel, Figurenspiel, Musik, bildende Kunst, Hörspiel sowie Video- und Filmkunst dabei mit. In einem offenen Entwicklungs- und Probenprozess entstehen anspruchsvolle Stücke mit starken und ungewöhnlichen Bildern.
Beteiligte:
Tanz: Anna Städler
Schauspiel: Katja Rogner
Regie: Stefan Ebeling
Musik / Bühne / Kostüme: Ensemble
Verschlungene Dörfer
Ein performativer Hör-Spaziergang zur Geschichte und Gegenwart von Cospuden.
Er ist noch keine 20 Jahre alt, aber trotzdem ist der Cospudener See eine Fundgrube für Erinnerungen, Geschichten und geschichtliche Ereignisse, die viel älter sind. Einige dieser Geschichten werden in dem inszenierten Hör-Spaziergang "Verschlungene Dörfer" neu zum Leben erweckt.
Ausgestattet mit Kopfhörern und MP3-Playern unternimmt das Publikum einen Spaziergang am Nordufer des Sees.
Der Weg führt an verschiedenen Stationen vorbei, an denen es nicht nur viel zu hören, sondern auch einiges zu sehen gibt. Die Gäste hören die Stimme einer alten Dame, die vom Cospuden der 50er Jahre erzählt, von sommerlichen Idyllen und fröhlichen Radtouren zur Milchbar. Andere Stimmen erzählen vom Tagebau und von den Protesten gegen ihn, wieder andere berichten von ihren Erlebnissen am Strand des jungen Sees.
Kleine Spiel- und Theaterszenen ergänzen die Erinnerungen der Zeitzeugen, und auch die Natur wird zur Mitspielerin. Wetter, Himmel und Wasser bilden das vielschichtige Bühnenbild für eine Theatererfahrung, in der Gegenwart, Vergangenheit, Unsichtbares und Sichtbares miteinander verflochten sind.
Die Inszenierung von Kulturkosmos Leipzig und den Theatermacherinnen Marlen Riedel und Johanna Dieme verknüpft Erlebnisse von Zeitzeugen mit historischen Fakten, aktuellen Beobachtungen und Zukunftsvisionen für die Landschaft zwischen Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau; einer Landschaft, die innerhalb eines halben Jahrhunderts zwei tiefgehende Metamorphosen durchgemacht hat.
Beteiligte:
Künstlerische Leitung: Johanna Dieme, Marlen Riedel
Stimme: Fanny Kirst, Hans Henrik Wöhler
Fotografie: Norbert Vogel, Marcus Held
Produktionsleitung und Öffentlichkeitsarbeit: Angela Kobelt
Performer*innen: Josephine Raschke, Paula Raschke-Schmäche, Chrix Leo, Sandra, Carmen Orschinski
KomparsInnen
ZeitzeugInnen
Cospudener See
Foto: Kulturkosmos Leipzig
I would prefer not to
Ein seltsamer junger Mann namens Bartleby wird in einer New Yorker Anwaltskanzlei als Kopist eingestellt. Er bekommt einen Arbeitsplatz am Fenster. Wenn er hinausschaut, sieht er eine nackte Häuserwand. Seine Kollegen werden Ingwer-Keks, Truthahn und Kneifer genannt. Willkommen an der Wall Street!
Ohne besonderen Grund beschließt Bartleby eines schönen Tages seine Arbeit einzustellen. Zum Ärger seiner Kollegen und seines Vorgesetzten denkt er aber nicht daran, seinen Arbeitsplatz zu verlassen oder zu kündigen. Stattdessen sitzt er untätig an seinem Schreibtisch und beobachtet den Putz an der Wand. Jeder Kommunikations- versuch von Seiten seiner Kollegen endet mit einem höflichen, aber bestimmten: „I would prefer not to.“
Verweigerung, Subversion und Depression das sind die Spannungsfelder zwischen denen sich Bartleby in der neuen Koproduktion von DAS ÜZ und den Cammerspielen (Regie: Christian Hanisch) bewegt. Der Leipziger Schauspieler Thomas Deubel übernimmt dabei u. a. die Rolle von Bartlebys Vorgesetzten, der uns dessen absurd witzige und unverschämt traurige Geschichte erzählt.
Beteiligte:
Regie: Christian Hanisch
Dramaturgie: Christoph Awe
Schauspieler: Thomas Deubel
Foto: Mim Schneider
Produktionsleitung: Josepha Vogel
Foto: Tom Schulze
ADOLF SÜDKNECHT – DER AUFSTAND!
ADOLF SÜDKNECHT – DER AUFSTAND! zeigt eine künstlerische Aufarbeitung um die Tage des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR aus Sicht einer Familie.
Das Theaterprojekt beleuchtet die Ereignisse und die Hintergründe des Volksaufstandes in der DDR, bei dem es zu einer Welle von Streiks, Demonstrationen und Protesten kam und der schließlich von der Sowjetarmee blutig niedergeschlagen wurde. Dabei sollen sowohl zeitgeschichtlich dokumentierte Vorgänge in Leipzig Eingang finden, als auch private fiktive Erlebnisse der Familie Südknecht.
In der theatralen Umsetzung werden die Geschehnisse in einen Bogen von mehreren Aufführungen gespannt, in dem sich im zeitlichen Spiel-Verlauf mehrere Tage um den 17. Juni 1953 erstrecken.
Neben der Hauptbesetzung mit zwei Schauspielern und einem Musiker spielen pro Episode zwei weitere Schauspieler und ein Gastmusiker mit. Zudem zahlreiche Statisten. Jede Episode baut zeitlich und inhaltlich aufeinander auf, wird aber dennoch dramaturgisch in sich abgeschlossen sein. So ist für die Zuschauer ein Ein- und Ausstieg in die Theater-Reihe jederzeit möglich.
Die Schauspieler erschaffen dadurch, dass sie sich lediglich einen dramaturgischen Rahmen vorgeben und alle Texte improvisieren, eine unikate und in ihren Emotionen authentische Aufführung. Sie recherchieren vorher sorgfältig die historischen Ereignisse, um sie im Augenblick des Spiels abrufen zu können.
Zielgruppe ist ein Publikum ab dem jugendlichen Alter.
Des Weiteren wird, wie immer in den vergangenen Jahren, jeder Abend aufgezeichnet und zum Abruf auf dem Adolf-Südknecht-Vimeo-Channel kostenlos zum Nachschauen bereitgestellt.
So hält das Theater ADOLF SÜDKNECHT an der bewährten Konzeption des Kneipentheaters fest und entwickelt es in behutsamen Schritten in die Zukunft weiter: „Zeitreisen aus dem Wohnzimmer der Weltgeschichte!“
ADOLF SÜDKNECHT – DER AUFSTAND! wird produziert in Kooperation mit dem Werk 2 Leipzig und dem Museum in der „Runden Ecke“ Leipzig.
ADOLF SÜDKNECHT – DER AUFSTAND! wird gefördert durch die Stadt Leipzig, Kulturamt und die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
Beteiligte:
ADOLF SÜDKNECHT besteht aus und die Projekte werden produziert und konzipiert von den professionellen Einzelkünstlern Armin Zarbock (Schauspiel), Claudius Bruns (Musik) und August Geyler (Schauspiel). Zusätzlich arbeiten bei den Projekten zahlreiche bundesweite Gäste mit.
Als Schauspielgäste bei ADOLF SÜDKNECHT – DER AUFSTAND!:
Alexander Terhorst (Halle), Nele Kießling (Hamburg), Urban Luig (Berlin).
Aus Leipzig: Barbara Trommer, Friedhelm Eberle, Raschid D. Sidgi, Susanne Bolf, Thorsten Giese, Philip Heimke sowie Eva Maria Schneider, Nicolai Rabenau und Alexander Eckardt.
Weiterhin Frank Berger, Nils Lieder, Micha Dietrich, Mirko Mandadiev, Alexander Plaul, Thomas Padepart, Christian Haß, Jürgen Manthey, Chris Heldner, Sandy Locker, Martina Philippi, Janet Treffkorn, Juliane Schröter, Xenia Buch, Maria Notacker und Lisa Böttcher.
Foto: Armin Zarbock
Speak to me, place
Leipzig City. Schönste Innenstadt Deutschlands! Sauber, sicher und voller Ambiente und Flair. Ein verkehrsberuhigter Gründerzeit-Kosmos zwischen den Autostraßen der Großstadt, der als öffentlicher Raum ein Zusammenkommen aller Menschen verheißt. Doch an manchen Stellen scheint die Fassade uns Finten zu stellen. Unmerklich verwandeln sich Orte, die allen gehören, in Orte, die bestimmte Menschen ausschließen. Zwischen den Fußgängerströmen der Haupteinkaufsstraßen stolpern wir durch ungenutzte Passagen, kullern von schrägen Bänken und sehen schlafende Menschen, eingehüllt von klassischer Musik.
Wer hält sich eigentlich in der Stadt auf? Sind manche Handlungen erwünschter als andere? Fühlen wir uns an bestimmten Orten unsicherer als an anderen? Welche Straßen laufen wir täglich entlang und welche schlagen wir nie ein? Welche »Befehle« befolgen wir jeden Tag, ohne ein Wort zu hören?
STUDIO URBANISTAN lädt zu einem persönlichen Date mit der Stadt, um der Architektur und den vielfältigen Stimmen des urbanen Raums zuzuhören. In einem performativen AUDIOWALK wird die Leipziger Innenstadt dabei zum utopischen Versuchsfeld, welches die intendierten Nutzungen der gebauten Realität in Frage stellt. SPEAK TO ME, PLACE!
Ein Projekt von STUDIO URBANISTAN in Kooperation mit dem Museum der bildenden Künste Leipzig. Gefördert von der Stadt Leipzig Kulturamt.
Beteiligte:
Künstlerische Leitung: STUDIO URBANISTAN (Julia Lehmann und Clara Minckwitz)
Produktion: Melanie Albrecht
Assistenz: Miriam Bähr
Foto: Jana Nowak
LOVE ME HARDER
LOVE ME HARDER thematsiert den Einfuss von gesellschaflichen und gegenderten Machtpositonen auf unser Begehren: Wie bilden sich Konstrukte von Gender, Klasse und race in unserem Begehren ab? Welche zarten Formen von männlichem Begehren sowie dem Begehren an Männlichkeit sind denk- und performativ herstellbar? Männliche* Sexualität wird durch verschiedenste heteronormative Erzählungen konstruiert und beschränkt: gewaltätg, aktiv, fordernd, hetero. Wir suchen nach alternativen Möglichkeiten männlicher* Erotik, die im Bühnenraum hergestellt sowie nacherzählt wird. Dabei gehen wir sowohl diskriminierenden Aspekten in der Konstruktion von Begehren als auch unseren eigenen Privilegien nach. Besonders interessieren uns Blickanordnungen im Bühnenraum, durch die verschiedenste Begehrensebenen im Auführungsmoment erzeugt werden und queeres Begehren in den Blicken der Zuschauer*innen gegenseitg beobachtbar wird. In LOVE ME HARDER widmen wir uns der ästhetischen wie gesellschaflichen Frage, wie Geschlecht performativ konstruiert und wieder aufgelöst werden kann, wir arbeiten mit musikalischen sowie stark bildlichen Momenten im Schmusepalast, suchen nach fragilen Momenten von Intmität, bieten dem Publikum den Körper des Performers* als Projektonsfäche ihrer Phantasien an.
Eine Produktion von CHICKS* freies performancekollektiv in flausen, Koproduktion mit LOFFT – DAS THEATER und theater wrede+ Oldenburg.
Beteiligte:
KÜNSTLERISCHE LEITUNG Gianna Pargätzi + Marietheres Jesse
PERFORMANCE + MUSIK Elischa Kaminer
PRODUKTION Miriam Glöckler
ASSISTENZ Julia Zarth
Foto: Tom Dachs
MERCEDES
Zwei junge Menschen, Oi und Sakko, finden in mehr als einem Dutzend Versuchsanordnungen immer wieder neu zueinander und kommen letztlich doch nicht zusammen. Die Inszenierung wirft einen Blick zurück auf das Leben der Punks in den 80er-Jahren und auf das Leben des verstorbenen Autors Thomas Brasch. Und sie fragt nach dem Heute: Geben Arbeit, Konsum und Besitz in der Gegenwart Halt? Was hat sich in den letzten 35 Jahren in unserem vereinten Land verändert? Nichts oder alles?
Beteiligte:
Es spielen: Victoria Schaetzle, Karina Zetzmann, Thomas Deubel
Regie: Danilo Riedl
Konzeptionelle Mitarbeit/Dramaturgie: Juliane Pfeiffer
Kostüm: Mirjam Zeise
Regieassistenz: Katharina Felde
Foto: Jens Dörre
Frankensteins Rückkehr
Zwei Clowns – eine Leidenschaft – viele Probleme
Emil und Elisabeth Frankenstein durchleben gemeinsam die Höhen und Tiefen eines Lebens, das besessen ist von der Vision, eine Kreatur zu schaffen. Als ein Mafioso in ihre kleine verrückte Welt eindringt, steht ihr Leben plötzlich Kopf, und es beginnt eine wilde Reise, auf der sie ihre Ideale über Bord werfen müssen und die menschliche Unzulänglichkeit zu lieben lernen.
Ein rasantes Clowns-Abenteuer zwischen Perfektion und Liebe, zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Erfolg und Desaster, zwischen Frankenstein und seinem Monster, zwischen Emil und Elisabeth.
Beteiligte:
Es spielen: Anke Klöpsch & Pascal Keimel
Regie: Gerry Flanagan (Shifting Sands Theatre, UK)
Foto: Hendrik Brause
Das Massaker von New Leipzig
DAS MASSAKER VON NEW LEIPZIG ist ein "mixed-abled" Theaterprojekt in Koproduktion mit dem LOFFT mit zwei Schauspielerinnen mit Trisomie 21, einen 78-jährigen Sänger und Sprechtheaterschauspieler aus Kanada, einer Tänzerin, Performerin und Choreographin aus Griechenland, einem Musiker aus der Ukraine und dem Leipziger Square Dance Verein „1st Dancing Lions SDC e.V.“
Bryckenbrant
Beteiligte:
Darsteller: Debrecina Arega, Ronald Bird, Elpida Orfanidou, Grit Wagner
Musik: Vladimir Stramko
Bühne: Holden Deadfield
Kostüm: Josephin Berger
Maske: Lena Hille
Produktionsleitung: Nicole Mühlberg
Regie: Daniel Wittkopp
Foto: Thomas Puschmann
Schön ist es auch anderswo und hier bin ich sowieso
Die ZuschauerIn begibt sich in unser Kopfkino & nimmt an einer Selbstbefragung, einer Selbstauflösung teil. Die Leipziger Gruppierung Carminski Hauser entwickelt hierfür an den Cammerspielen ein Hörstück. Im Zentrum steht ein dramatischer Text in Form eines Verhörs, das sich an jede einzelne ZuschauerIn sowie die Publikumsgemeinschaft als Ganzes richtet. Auf der visuellen Ebene setzt ein performatives Videostück am Ausgangspunkt des Verhörs an, um die Selbstauflösung der Individuen im Publikum wortwörtlich in den Raum zu werfen. Die Dramaturgie ist kreisförmig. Genau wie der Zuschauerraum. Das Ende ist ein Neuanfang. Ein Hörstück mit Camera Obscura. Eine Begegnung der eigenen & kollektiven Haut. Ein Tauchgang im Sitzen. Eine Einladung. Darf ich dich was fragen? Was fragst du dich?
Im Stück geht geht darum, wie & ob man vom Individuum zum Kollektiv gelangen kann. Was steht zwischen uns & der Utopie? Wo bleiben wir hängen? Bei den eigenen Ängsten? Sind sie zu benennen, zu überwinden? Oder ist alles gut so, wie es ist?
Ein Hörstück mit Camera obscura | Carminski-Hauser-Kollektiv
NewCammer - Nachwuchsregisseure in den Cammerspielen
Beteiligte:
Markus Falk (Sprecher/Perfomance), Thomas Braungard (Sprecher), Stefan Hurtig (Video), Nick Hauser (Text), Carmen Orschinski (Regie/ Sprecherin/ Perfomance), Chris Michalski (Dramaturgie), AMORE MEOW (Musik (Theresa Elflein / Carmen Orschinski))
Foto: Carminski Hauser Kollektiv
1001 Leben
Leinen los und bon voyage, die musikalische Tanzproduktion „1001 Leben“ lädt zur Expedition! Auf der Reise in die verborgenen Tiefen menschlicher Phantasiewelt werden neben Figuren aus dem bezaubernden und gleichzeitig abgründigen Kinderbuch Peter Pan auch all die Nimmerländer des 21. Jahrhunderts zu tanzen beginnen, die sich sonst gut zu verstecken wissen. Wer sich auf die Reise einlässt, wird auf subtile und humorvolle Art erleben, wie die Grenze zwischen Phantasie und Realität durch Musik und Tanz zu oszillieren beginnt...
Mehr als 100 Jahre nach Erscheinen des ebenso bezaubernden wie abgründigen Kinderbuches „Peter Pan“ und über 30 Jahre nach der Einführung der Diagnose des „Peter-Pan-Syndroms“ durch den amerikanischen Psychologen Dan Kiley sind offenbar nicht nur Einzelne vom „Pan-Syndrom“ betroffen, sondern es scheint ein größerer Anteil der gegenwärtigen Gesellschaft hieran erkrankt zu sein. Das 21. Jahrhundert – so wird deshalb bereits heute prognostiziert – wird das Jahrhundert der Nimmerländer gewesen sein. Es wird das Jahrhundert gewesen sein, in dem man unfähig war, Konflikte konstruktiv auszutragen, echte Bindungen einzugehen, Verantwortung zu übernehmen und sich vor allem vehement weigerte, erwachsen zu werden.
Unter diesem Gesichtspunkt lässt die Tänzerin und Choreographin Juliette Rahon in ihrer musikalischen Tanzproduktion „1001 Leben“ die Phantasiewelt Peter Pans noch einmal vor den Augen des Publikums aufleben und mit der unmittelbaren Gegenwart aufeinandertreffen. Die Welt der Phantasie und die erlebte Realität begegnen sich in „1001 Leben“ in aller Schärfe, beide Welten kommentieren sich und eröffnen die Möglichkeit der gegenseitigen Erforschung und Reflexion.
Die Übertragung der phantastischen Welt des Nimmerlands auf das 21. Jahrhundert schärft dabei nicht nur den Blick für die Schattenseiten der zunächst trügerisch-paradiesisch aussehenden Welt Peter Pans, sondern lässt uns auch erkennen, wie viel Phantastisches und Utopisches in der vermeintlich ausschließlich rationalisierten Gegenwart enthalten ist…
Durch die Überblendung von Phantasie und Realität entsteht in „1001 Leben“ ein utopischer Zwischenraum, der eine andere Körperlichkeit, neue Bewegungsqualitäten und Dynamiken, aber auch eine schöpferische Musikalität herausfordert und entstehen lässt.
Beteiligte:
Tanz: Katie Douglas (AUS), Alicia Varela Carballo (ESP), Charlie Fouchier (FRA), Robert Söderström (SWE)
Regie, Choreografie: Juliette Rahon (FRA)
Projektleitung: Josephine Bock (DE)
Komposition/Cello: Léonard Frey-Maibach (FRA)
Komposition/Flöte: Sébastian Jacot (CH)
Foto: zenna.de
ZACK ZACK ZACK
Theateradaption des Billy Wilder - Klassikers "Eins Zwei Drei"
Für einige gilt die schnelle und schrille Komödie über die Situation im geteilten, aber noch grenzoffenen Berlin 1960 als die beste filmische Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg. Nicht obwohl, sondern gerade weil es eine Komödie ist.
Beteiligte:
Regie: Volker Insel
Mitarbeit: Danilo Riedl
Schauspieler: Britta Boehlke, Elena Weiß, Stephan Thiel, Armin Zarbock
Grafik: Thomas M. Müller
Foto: Danilo Riedl
Animal Instincts
Das Stück „Animal Instincts“ behandelt die Frage des demokratischen Zusammenlebens und die in uns verwurzelten Widersacher, die dieser Idee entgegenstehen.
Der Mensch ist im Kern seines Wesens ein Eigenoptimierer. Im demokratischen Verbund flackern Ängste um das eigene Überleben oder um das Zu-kurz-kommen auf und das Individuum reagiert mit einer natürlichen Ausgrenzung. Ausgehend von dieser These stellt das Stück das Postulat in den Raum, dass diese Ängste in der Tiefe verwurzelte Instinkte sind, die noch aus einer frühen evolutionären Entwicklungsepoche stammen und die das Gedankenkonstrukt der Demokratie nicht mit den in uns verwurzelten animalischen Instinkten in eine Schnittmenge bringen lassen.
Das Stück beschäftigt sich mit den in uns liegenden animalischen Instinkten sowie mit deren Unterdrückung im angepassten, gesellschaftlichen Kontext. Gleichzeitig dreht sich das Stück um die verlorenen animalischen Instinkte, die uns vor Gefahren und der Umwelt schützen. Es geht um die nonverbale, animalische Intelligenz, die mit der Entwicklung der Hochkultur sich mehr und mehr verliert. Eine Art Instinkt-Intelligenz, die wir mehr erahnen als erfassen. Wenn wir den Kreislauf von der eigenen Optimierung und Ausgrenzung durchbrechen wollen, so kann dies nur auf einer Ebene der Bewusstwerdung unserer instinktiven Handlung und unter Inbezugnahme unserer geistigen Entwicklung geschehen. Dem Reaktiven die bewusste Entscheidung aus der gedanklichen Reflektion entgegen zu setzen ist die einzige Möglichkeit, einen weiteren Entwicklungsschritt in der demokratisch und kollektiven Idee zu vollziehen.
Beteiligte:
Tänzerinnen: Daniela Wölfel, Jilian Neuburger, Maria Ladoupolos, Natalie Sesé Cabello, Miriam Arbach, Mona-Bawani Mühlhausen
Foto: Betty Pabst
Die feinen Unterschiede
Von der Klassengesellschaft zu sprechen ist von gestern. Oder doch nicht? Sind wir denn jemals in der nivellierten Mittelstands-Gesellschaft gewesen? “Es ist immer wieder bestürzend, wie unmittelbar fotografierte Körper aus der Vergangenheit, einen sozialen Körper darstellen, den Körper einer Klasse“, sagte Didier Eribon in “Rückkehr nach Reims”, seiner Autobiographie eines gesellschaftlichen Aufsteigers. Klassenverhältnisse bestimmen unser Bewusstsein, unseren Geschmack, unser Geschlecht und unsere Beziehung zu anderen. Klassenverhältnisse trennen und verbinden. Mit und ohne Klassenbewusstsein.
In einer Reihe offener Workshops befragten wir Leipziger*innen auf ihren soziokulturellen Hintergrund und ihre Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Dafür versammelten wir Leiharbeiter*innen, Angestellte, Erwerbslose und Werk-Arbeiter*innen und fragten: Wie hängen unsere Interessen mit unserem Klassenhintergrund zusammen und wie sind wir gesellschaftlich repräsentiert? Wir wollen einen erleb- und erfahrbaren Zusammenhang zwischen unserem eigenen soziokulturellen Hintergrund und unserer gesellschaftlichen Urteilskraft herstellen. In einer "szenischen Feldanalyse" begeben wir uns zusammen mit Teilnehmerinnen und Publikum mit bereits erprobten Mechanismen in einen Aufgaben-Parcours, um unserem eigenen Klassenhintergrund zu begegnen. Spielerisch loten wir unsere soziokulturellen Hintergründe sowie moralische, politische und ästhetische Einstellungen aus.
Beteiligte:
Performance: Matthias Sterba, Melanie Sterba, Carmen Orschinski
Team: Justus Wenke, Katharina Becklas, Tina Mamczur, Magali Raßmann, Jean Jacobi, Michael Jooß
Gäste Performance: Carmen Salas Cardenas, Carolin Otto, Stine Siegmeier, Wiebke Reinsch, Lukas Herber
Foto: Justus Wenke